HELMUT RIELÄNDER
Malerei, Grafik und Installationen

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Südostasiatische Notizen

Wieder zurück zu Apichatpong, seinen Einsichten und seine filmische Arbeit: aktuell hält er sich überwiegend in Kolumbien auf, wo er an seinem neuen Film arbeitet.

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Er kommentiert sein neues Filmprojekt:
„Es ist (in Kolumbien d.V.) sehr chaotisch und gewalttätig, und ich glaube, ich konnte Thailand dadurch mehr schätzen lernen. Dort zu arbeiten ist sehr faszinierend, und gleichzeitig sieht man mehr Leute die kämpfen. In Kolumbien denke ich mehr über mich selbst nach. Ich denke, wir wurden zur Unterwürfigkeit erzogen, und das kann ich bei mir auch nicht ändern. Es ist in der DNS, seit ich ein Kind war, wurde mir eingepflanzt, ich müsse ein gehorsamer Untertan sein.“ (TIP a.a.O.)
(Siehe auch mein erstes Beispiel thailändischer Unterwürfigkeit in: SOAN 3 vom Juli 2014.)

Seiner Meinung nach sind die Auseinandersetzungen in Kolumbien sowie im übrigen Südamerika zwischen der ärmeren Bevölkerung und dem Staatsapparat „in Methode und Herangehensweise ... entwickelt und sehr weit fortgeschritten. In Thailand hatten wir nie eine Chance, uns zu entwickeln, weil die Leute nicht gelernt haben, wie sie richtig protestieren und Widerstand leisten können.“ (TIP a.a.O.)
Er spricht dann über die weit entwickelte Kunst in Lateinamerika und beklagt das Fehlen entsprechender politischer Kunstprojekte in Thailand und den nicht vorhandenen notwendigen Dialog.
Apichatpong gibt im Verlauf des Interviews zu, dass es sein Bedürfnis ist, bald nach Thailand zurückzukehren, da es „immer noch unabhängige Räume“ gäbe, und es – Dank der sozialen Medien – „immer schwieriger (werde), „Dinge zu unterdrücken. ... Es gibt aber immer noch bestimmte Themen, die man nicht anpacken kann. ... Was das Land insgesamt betrifft, habe ich nach wie vor die Hoffnung. Was die Meinungsfreiheit angeht, ist es immer noch gut, aber wie gesagt, ich sehe meine Arbeit nicht als etwas an, das Dinge ändert, sondern ich drücke meine persönlichen Gefühle aus.“ (TIP a.a.O.)
Zur Zukunft des Isaan meint Apichatpong, dass sich dieser in den nächsten zehn Jahren wohl zu einem wohlhabenden Landstrich entwickeln wird und führt ein Beispiel – nicht nur positiver Art – aus ‚seiner’ Stadt Khon Kaen an. Er ist der Meinung, dass viele Orte nur „... für Menschen der Mittelklasse geschaffen (sind), für Menschen, die es sich leisten können. Aber so wird das sein, und die Mittelklasse wird viel Macht haben, das kann man schon sehen. Und es könnte Rechtfertigungen für ein nichtdemokratisches System geben. Die Leute sind vielleicht damit zufrieden, mit dem China-Modell - solange ihr Materialismus befriedigt wird (Hervorhebung durch den SOAN-Autor). Ich bin sicher, es wird immer noch autoritär sein, und das Volk wird vielleicht noch stärker kontrolliert werden, wenn auch subtiler. Was ich auch interessant finde ... überlegen Sie einmal, wie viele Mischkinder und thai-ausländische Paare im Isaan leben. Ihre Kinder gehen in gute internationale Schulen, und das wird auch einiges verändern.“ (TIP a.a.O.)
Der Filmregisseur wurde dann noch nach der Zentralmacht in Bangkok und einem möglichen Aufbrechen der Machtverhältnisse befragt. In seiner Bestandsaufnahme hob er die Misere des gegenwärtigen Bildungssystem Thailands hervor.
Er schämte sich, als er vor Jahren aus dem Isaan nach Bangkok kam und die Großstädter auf ihn (als Khon Lao, wie man dort sagt, d.V.) hinabblickten!

Zum Schluss noch einmal zu Veränderungen der Kunstszene, zur Kunst als politisches Mittel der Aussage und Kunst als demokratisches Mittel.
In Thailand gilt nach Auffassung des Regisseurs, dass körperliche Schönheit und Religion wichtig sind! Dieses Kunstverständnis beginnt aufzubrechen, was seiner Meinung nach auf politische Bewegungen zurückzuführen ist. Als Beispiel hierfür stehe ein aktuelles Projekt mehrerer thailändischer Filmemacher mit dem Titel ‚Ten Years Thailand’, an dem sich auch Apichatpong Weerasethakul mit seinem Beitrag: ‚Song of the City’ beteiligt hat. Zur Erstellung dieses Films fuhr er wieder zurück in seine Heimatstadt Khon Kaen. Im Dezember/ Januar wurden die Filme der Öffentlichkeit präsentiert.

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Apichatpong Weerasethakul’s Beitrag zur Filmreihe Ten Years Thailand

Diese Entwicklung, die auch durch die sozialen Medien gestützt wird, geschehe langsam, da „... wir auf Unterwürfigkeit programmiert (sind).“ Aber zumindest können die Menschen hier durch die sozialen Medien an andere Informationen kommen.
Der Interviewer fragt den Filmemacher dann, in wieweit ,die Mächtigen’ ob seiner Kunst besorgt wären? Seine Arbeit, so sagt Apichatpong, sei nicht dazu bestimmt Leute aufzuwiegeln, sie sei also nicht gefährlich!
„Die Leute an der Macht müssen erst einmal lernen, Kunst so zu begreifen wie das chinesische Regime. Wenn ich mir das China-Modell betrachte, dann waren sie, was Kunst betrifft, einmal ziemlich frei gewesen. Jetzt nicht mehr. Wenn wir heutzutage über zeitgenössische chinesische Kunst sprechen, dann dreht sich alles um Politik und die Behörden wissen das.“ (TIP a.a.O.)

Apichatpong hofft, dass die Kunst Spannung erzeugt und die Leute zum Denken und Streiten ermuntert.

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Die zu Beginn beschworene Schönheit der Kunst sollte nach seiner Auffassung dazu führen, dass die Abstraktion (also Vereinfachung), Menschen helfen kann, größere Zusammenhänge zu verstehen.

Für mich war dieser Zeitungsartikel eine Offenbarung, war ich doch davon ausgegangen, dass kaum jemand in diesem Land merkt, welches Korsett von Regeln und Hierarchien jeden einzelnen umgibt! Durch die anerzogene ‚Höflichkeit’, eine Form des Untertanengeistes, die ich nur aus dem Studium der deutschen Geschichte der Kaiserzeit zu Beginn des vorigen Jahrhunderts kenne, verbietet sich Widerspruch und Opponieren gegen gesellschaftliche Missstände. Die wenigen Ausnahmen massiver Auflehnung wurden entweder im Keime erstickt oder von militärischer Konterrevolution niedergerungen.

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